North-Line Yachts-Expedition nach Grönland

Lesen Sie die kompletten Reisbericht der reise North-Line 42 Dauntless nach Grönland.


10. Jun. 2016 Harlingen – Peterhead, 375 Meilen, windstill, regnerisch

Es ist sechs Uhr am Abend, als wir Familie und Freunden am Kai Adé sagen und durch die Tjerk Hiddes-Schleuse in Harlingen aufbrechen. Was als Traum vor einem Vierteljahrhundert begann, ist endlich Wirklichkeit – Ich bin auf dem Weg nach Grönland! Wir hoffen natürlich auch, einen neuen Rekord als erster Halbgleiter aufzustellen, der von den Niederlanden nach Grönland ausschließlich mit Betankung en route aufbricht.

Mit einem Kloß im Hals lassen wir das Festland hinter uns und befinden uns bei konstanter Geschwindigkeit um die 10 Knoten schon bald nördlich der Insel Vlleland. Schließlich wird es für ‚Chef‘ Cees Zeit, das erste Abendessen zu servieren, das wie so viele Male auf unserer Reise, vorzüglich mundet.

Wir sind von zahllosen Booten umgeben, da auf der Insel Terschelling derzeit das beliebte Festival Oerol läuft. Wir überholen zahlreiche Segeljachten, bevor wir, nach Stortemelk, Kurs 315 auf Peterhead nehmen. Wir beschleunigen auf 2350 U/min und erreichen Geschwindigkeiten über 17 Knoten, wobei wir fleißig den Windfinder kontrollieren. Es werden ein Meter hohe Wellen vorhergesagt, aber in Wirklichkeit sind sie zweimal so hoch, so dass die Jacht ständig auf- und niedergeht. Wir gingen davon aus, dass sich die Wellen beim Eintritt in tiefere Gewässer beruhigen würden, aber leider beruhigen sie sich erst am frühen Morgen. In der Nacht haben wir nicht ein einziges Boot ausmachen können ­– kein AIS-Signal auf dem Plotter, kein Punkt auf dem Radar. Bei leichtem Regen und einer dunklen Nacht beschließen wir, die Scheibenwischer ausgeschaltet zu lassen; ohne Mond und bei diesem bewölkten Himmel würden wir ohnehin nichts sehen.

Unsere geschätzte Ankunftszeit in Peterhead ist 15.00 Uhr. Fünf Minuten vor Ankunft melden wir uns an der Hafenkontrolle an. Gefragt, was wir zu tun gedenken, antworten wir, dass wir die Nacht im Hafen verbringen möchten. Ein freundlicher Hafenmeister fragt uns, woher wir kommen. ‘Harlingen’ antworten wir, und so bittet er uns, ihm die Reisepässe ins Büro zu bringen. Zuvor erledigen wir einige notwendige Arbeiten, machen sauber und nehmen eine Dusche. Die Dusche scheint mich aufzuwecken, und ich frage mich, ob ich überhaupt meinen Reisepass mitgenommen habe. Da schießt es mir durch den Kopf, wo ich ihn gelassen habe...zu Hause in einer Schublade. Tatsächlich, nach so vielen Wochen Vorbereitung auf die Reise, vergesse ich meinen Reisepass!

Ein rascher Anruf bei mir zu Hause bringt Gewissheit: 700 Euro kostet der Versand des Passes nach Schottland, nicht gerade die besten Neuigkeiten. Ich könnte auch zurückfliegen, aber auch das ist nicht viel billiger. Nach kurzer Besprechung entscheiden wir, zuerst zum Hafenmeister zu gehen. Der sieht keine Probleme, denn schließlich sind wir ja nur hier, um aufzutanken und uns morgen in Richtung Färöer-Inseln zu verabschieden. So hat meine Familie genügend Zeit, den Pass per DHL nach Tórshavn zu schicken. Ehrlich gesagt, denkt keiner von uns daran, dass die Leute vom Zoll uns zurückschicken könnten.

Nach dem Abendessen fühlen wir uns zu einer Fahrradtour um Peterhead aufgelegt, einem öden Ort, in dem die Jugend in Hauseingängen abhängt. Schnell geht es zurück zum Boot, wo Cees frischen Wolfsbarsch gekocht hat, auf den ein leckeres Dessert folgt. Obwohl es immer noch in Strippen regnet, sind wir guter Stimmung. So müssen wir wenigstens nicht das Boot reinigen, denn das Salz wäscht den Schmutz zuverlässig ab. Bevor wir ins Bett fallen, tauschen wir uns noch kurz über die morgige Route aus.


12. Juni 2016, Peterhead – Vagúr (Färöer-Inseln), 297 Meilen, Aufhellung, ein wenig Sonne

Nach einem herzhaften Frühstück geben wir den Torschlüssel wieder beim Hafenmeister ab, der sagt, dass wir in zehn Minuten auftanken können. Wir bereiten das Boot vor und fahren zum Tank-Anleger, wo uns der Hafenmeister vom fünf Meter hohen Kai mit einem breiten Grinsen den Schlauch herunterwirft. Unsere Geduld wird nur durch den langen Tankvorgang und durch die Tatsache auf die Probe gestellt, dass wir zum Zahlen zum Hafen zurückfahren müssen, denn: „Mein Kabel ist nicht lang genug!“ Die Schotten hatten schon immer einen gesunden Humor... Nach Auffüllen der Wasservorräte sind wir endlich fertig zur Abfahrt.

Wir haben noch drei Stunden Ebbe und machen 1150 U/min und neun Knoten Fahrt. Alles läuft nach Plan: Das Wetter klart auf, und wir können einen schwachen Sonnenstrahl am Himmel sehen. Da wenig Schiffsverkehr herrscht, stellen wir den Radaralarm ein und holen unsere Sonnenstühle aus den Schränken: So entspannend kann das Seemannsleben sein. In der Zwischenzeit beheben wir eine Reifenpanne an einem der Mountainbike-Reifen – Platz an Bord gibt es genug.

Nach 30 Meilen setzt die Flut ein, und unsere Geschwindigkeit fällt auf sieben Knoten ab. Wir tuckern langsam dahin, aber auf dem iPod sind schließlich noch 750 Lieder übrig, das sollte noch eine Weile vorhalten! Nach einer warmen Mahlzeit fahren wir in Pentland Firth ein. Der AIS zeigt an, dass die Holland in der entgegengesetzten Richtung unterwegs ist. Da wir den Bordingenieur kennen, nehmen wir auf der Ultrakurzwelle über Kanal 77 Kontakt auf. Wir bitten den Kapitän, Grüße der Dauntless-Crew auszurichten.

Immer auf Kurs bleibend, verlassen wir Pentland Firth mit 20 Knoten um ca. 21.00 Uhr. Um 21.30 Uhr ändern wir unseren Kurs nach Vagúr. Am Abend steigt der Wind aus östlicher Richtung auf 18 Knoten an. Der Seegang ist angenehm, der Mond leuchtet unseren Weg und alles ist gut. In der Nacht passieren wir ein Fischerboot und ein kleines Containerschiff – insgesamt eine ruhige Nacht, in der wir in Schichten Wache halten.

Um acht Uhr morgens sichten wir die Insel und machen gegen neun Uhr am Kai fest. Glücklicherweise haben wir zwei Holländer als Nachbarn, die uns Kaffee anbieten. Im Büro der Hafenmeisterei werden wir gebeten, die Mannschaftsliste auszufüllen und uns um 16:00 Uhr an Bord zur Zollkontrolle einzufinden. Dadurch haben wir Zeit zum Fahrradfahren, aber das Wetter spielt nicht mit. Durch den ständigen Sprühregen dauert es nicht lang, bis wir vollkommen durchnässt sind. Eine warme Dusche und ein Kaffee an Bord wecken unsere Lebensgeister wieder.

Wir beschließen, den Fischmarkt zu besuchen und frischen Dorsch zu kaufen. Ob es unser freundliches (oder sportliches) Auftreten ist? Jedenfalls bekommen wir den Fisch umsonst. Den Rest unseres Mittagessen kaufen wir im Supermarkt. Die Zollbehörde erscheint und führt die ersten Kontrollen durch: Mannschaftsliste, alkoholische Getränke, Unterschrift, Taschenrechner: alles wird abgehakt. Wieder scheinen wir eine positive Aura zu haben: Die Zollbeamten legen Unterlagen und Taschenrechner beiseite, und nach einer kurzen Bordbegehung heißt es: Bon voyage. Da schmeckt der Dorsch gleich noch besser. Ein abendlicher Spaziergang, ein wenig Kaffee und ein Glas Whiskey, und es geht in die Kojen.


14. Juni 2016, Vagúr – Tórshavn, 36 Meilen, warm

Heute Frühstück in aller Frühe mit Bacon, Eiern und Kaffee. Nach Besuch beim Hafenmeister machen wir um 11:00 Uhr los. Der Wind kommt mit 12 bis 15 Knoten aus östlicher Richtung. Nach zweistündiger Vertäuung [JA3] legt sich der Wind nahe der Insel Nolson und wir schalten den Motor aus. Während uns die Strömung trägt, können wir die Angeln herausholen und ein paar Fische fangen. Aber nach zwei Stunden sind wir so gelangweilt, dass wir den Motor wieder einschalten und Richtung Tórshavn fahren, wo wir in der ‚Besucher-Box‘ unseren Liegeplatz finden. Abends gesellen wir uns zu den Einheimischen, die das Fußballspiel Portugal gegen Island auf einer großen Leinwand im zentralen Platz verfolgen. Trotz des außergewöhnlich lauen Abends beschließen wir, uns mit einem Bier ins Boot zurückzuziehen und früh schlafen zu gehen. Schließlich steht morgen Fahrradfahren auf dem Programm.

15. Juni 2016, Tórshavn, windig

 Streymoy

Wir müssen das Salz vom Boot entfernen, was mich etwa eine Stunde Arbeit kostet. Dann ist es Zeit, die Insel Streymoy mit dem Fahrrad zu erkunden. Schon die Straße nach Norden zu finden, ist alles andere als leicht, und wir verfahren uns mehrere Male. Als wir sie endlich finden, wird sie schnell sehr steil, so dass unsere Beine harte Arbeit leisten müssen. Für einen kurzen Augenblick fühlen wir uns wie auf der Tour de France und träumen davon, das Gelbe Trikot zu gewinnen.

Auf halbem Weg kommen wir durch ein kleines Städtchen, perfekt zum Mittagessen. Denken wir jedenfalls. Leider gibt es aber nichts, so dass wir mit leerem Magen und nur ein paar Snacks in unseren Taschen wieder zurückfahren. Immerhin finden wir in einer Tankstelle einen Supermarkt. Die freundlichen Angestellten wärmen uns unsere Pizzarollen in der Mikrowelle auf. Sie schmecken lecker!

Die Fahrt zurück hat es in sich, denn der Wind hat aufgefrischt und auch bergab müssen wir mit aller Kraft in die Pedalen treten. Aber mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 k/mh können wir mit unserer Leistung zufrieden sein. Das Abendessen ist schnell erledigt: Fleisch vom Grill mit Kartoffeln und Mischgemüse. Wir essen in der Plicht und sehen ein norwegisches Segelschiff im Colin Archer-Stil in den Hafen einfahren. Es sieht nicht aus, als hätte das Boot in den letzten 20 Jahren viel Pflege erhalten, aber der Eigentümer scheint sich daran nicht zu stören. Das Ende des Tages ist gekommen, und wir gehen um 22:30 Uhr zu Bett.

16. Juni 2016, Tórshavn – Seydisfjordur, 292 Meilen, Wetter unbeständig

                                                                                                                         

17. Juni: þjóðhátið – ein wichtiger Feiertag, der sautjándi júní, an dem die Republik Island gegründet wurde (am 17. Juni 1944) Quelle: Wikipedia.

Als wir aufwachen, ist der Liegeplatz neben uns leer: Unser norwegischer Nachbar ist früh aufgebrochen. Nachdem wir den Hafenmeister bezahlt, das Boot vorbereitet und vollgetankt haben, sind wir um 11:00 Uhr fertig zum Ablegen. Am ersten Teil des heutigen Trips entlang der Küste geraten wir in hohen Wellengang. Nach 10 Meilen finden wir uns zwischen den Inseln wieder, und der Ozean beruhigt sich. Bei einer Geschwindigkeit von 4 Knoten werfen wir die Leinen aus und hoffen auf einen Fang. Für den Fall der Fälle haben wir aber am Vorabend vorgesorgt: Es gibt dann doch Reis mit Gulasch. Mit Einsetzen der Flut machen wir uns die Strömung zunutze, was uns eine Geschwindigkeit von 16-17 Knoten beschert, so dass wir uns schon bald bei starkem Wellengang und einem 12-Knoten-Wind oberhalb der Inseln befinden. 

Das Wetter wird nun milder. Wir sitzen windgeschützt in der Plicht, aber so richtig gemütlich ist es nicht, da wir auch immer einen Blick nach draußen werfen müssen.  Nach 85 Meilen Fahrt sichten wir ein Fischerboot in fünf Meilen Entfernung. Noch 200 Meilen sind zu bewältigen, und schon verschwimmt uns der Sinn für Tag und Nacht: Das Licht um uns ist sehr hell. Wir schlafen in Schichten. Die Heizung an Bord ist an, es ist kalt draußen. Um vier Uhr machen wir an einer mit Reifen-ausgekleideten Mole fest und sind vom Klang der Stille ringsherum fasziniert.  Hier werden wir gut schlafen.

Am nächsten Morgen um 10:00 Uhr erfahren wir, dass Nationalfeiertag (17. Juni) ist und dass traditionell an diesem Tag eine Kanone abgefeuert wird... und die scheint unser Boot im Visier zu haben!  Wir erkunden das Ortszentrum, das mit nur einem Supermarkt, einigen Kunsthandwerksläden und zwei Cafés recht übersichtlich ist.  Um 14:00 Uhr findet sich jeder bei den Kanonen ein. Ein älterer Herr stopft das Pulver mit einem langen Stock ins Kanoneninnere und zahlreiche Papierkugeln verschwinden im Geschützrohr. Mit einem breiten Grinsen – der Herr amüsiert sich königlich – legt er einen Helm und seine Ohrstöpsel an und bittet uns, einen Schritt zurück zu treten. Der nun folgende Knall ist laut, und das war es auch schon. Die Einheimischen wandern langsam in Richtung Kirche ab, um dort die Feierlichkeiten fortzusetzen.

Uns zieht es aber eher auf unsere Fahrräder auf der Suche nach einer Dieselpumpe, die bald gefunden ist. Als wir die Fahrt fortsetzen, sehen wir wunderschöne Wasserfälle, die sich in einen Fluss ergießen, der wiederum in einen Fjord fließt. Das geschmolzene Eis treibt auf dem salzigen Meerwasser. Die Natur ist und bleibt etwas Erhabenes, das man immer in Erinnerung behält.  Nach unserer Rückkehr an Bord ist es Zeit für eine Dusche und eine Kontrolle des Piloten, um zu sehen, wie unsere Route morgen verläuft. In der Zwischenzeit hat sich eine Nebelbank aufgebaut. Eine Stunde später kommen wir nicht einmal mehr den Bugmann erkennen, der vollständig in Nebel gehüllt ist.

18. Juni 2016, Seydisfjordur – Siglufjordur, 196 Meilen, kalt und neblig

Nach einer kalten Nacht machen wir um 9:30 Uhr das Boot los, um aufzutanken. Wir verständigen den Hafenmeister, der mit seinem alten Pick-up angefahren kommt, um unseren Tank zu befüllen. Nachdem er den aktuellen Preis in seinem Bürocomputer ermittelt hat, begleiten wir ihn zum Bankautomaten im Ort. Nach erfolgter Zahlung bringt er uns zur Jacht zurück, so dass wir um 10:30 Uhr den Fjord verlassen und auf die Fahrradroute blicken, die wir gestern bewältigt haben.

Um 13:00 Uhr bläst der Wind mit 25 Knoten, weiße Schaumkronen zieren die Wellen und die Sicht wird rasch schlechter. Schon bald sind wir vom Nebel eingehüllt und können weniger als eine halbe Meile voraus sehen. Das Gebiet um Reykjanes ist bekannt für seinen Nebel, der alle vier Tage aufkommt. Nach zweieinhalb Stunden löst er sich immer mehr, und Wind setzt ein. Wir sind nun fünf Stunden auf dem Wasser, und endlich oberhalb des Nördlichen Polarkreises. Da plötzlich eine Wasserfontäne: Wale! Wir ändern schnell den Kurs, aber die Wale auch, welche bald alle außer Sicht geraten.

Eine Stunde vor Einfahren in den Hafen von Siglufjordur haben wir mehr Glück und können einen Wal auf Film bannen. Um 12:00 Uhr machen wir gegenüber einer ruhigen und gemütlichen Kneipe fest. Alte Fotos aus den goldenen Zeiten der Heringindustrie schmücken die Wände, ebenso ein Messingteller aus der Werft De Dageraad Holland. Überraschenderweise spricht unser Schweizer Tischnachbar ausgezeichnet Niederländisch. Er hat eine holländische Mutter, sagt er, und lebt seit zwei Jahren in Island. Irgendwie sind wir Niederländer überall.

19. Juni 2016, Siglufjordur – Isafjordur, 137 Meilen, wolkenloser Himmel

Um 5:30 Uhr werden von einem Klopfen an der Tür geweckt. Man bittet uns, innerhalb von fünf Minuten den Liegeplatz zu verlassen, da ein großes Schiff in den Hafen einläuft. Kurz überlegen wir, ob wir uns aufmachen sollen, verwerfen die Idee aber schnell wieder: Nach nur 3,5 Stunden Schlaf sind wir nicht in der Lage, in See zu stechen. Glücklicherweise gibt es einen anderen Liegeplatz für unsere Jacht.

Das große Schiff ist die Purse Seine, die in ihrer Fracht Kühllastwagen hin- und her transportiert. So ergattern auch wir uns einen Fisch: einen ca. 3kg wiegenden grönländischen Heilbutt. Cees filettiert den Fisch sogleich: einen Teil zum Kochen, den anderen zum Angeln. Unser Pilot zeigt an, dass das Heringsmuseum einen Besuch lohnt, und so ist es auch. Auf den Fotos der Fischerboote, die bis zum Platzen mit Hering vollgestopft sind, hat es den Anschein, als wären die Ozeane zwischen 1911 und 1968 vollständig geleert worden. Im Museum ist auch ein altes Schiff zu bewundern, das vor 40 Jahren aufgegeben wurde.

    (Quelle: Website des Museums Herring Era)

Zurück auf unserem Boot machen wir uns an das tägliche Ritual: Den Ölstand prüfen, mit einer Taschenlampe durch das Glas leuchten, um zu sehen, ob sich Schlamm auf den Treibstofffiltern abgelagert hat und eine Inspektion aller anderen Teile. Zum ersten Mal in 100 Stunden Motorbetriebs müssen einen Liter Öl nachfüllen. Bei Cummins sagt man uns später, dass wir wahrscheinlich in ziemlich steilen Winkeln gefahren sind, so dass das Motoröl wohl durch das Ventil der Ölwanne abgesaugt wurde.

Das Wetter ist gut, die See wie ein Spiegel und keine Wolke am Himmel. Die Wale sind wieder da, und ich schieße ein paar Fotos. Unser Mittagessen, zwei große Heilbuttfilets, schmeckt vorzüglich. Wir schlafen in Schichten, als meine Nachtwache anbricht, kann ich meinen Augen nicht trauen: Schneeberge am gesamten Horizont und auf Steuerbordseite eine unermessliche See und eine Sonne, die nie untergeht. Bei 8,5 Knoten und langen Wellen machen wir gute Fahrt. Um 6:00 Uhr erreichen wir den Hafen von Isfjordur. Nachmittags schwingen wir uns auf die Fahrräder, um die Schneegebiete zu erreichen. Cees hat von der Plicht bereits eine schöne, steile Straße ausgemacht. Wir erreichen schließlich ein aufgegebenes Skigebiet und schießen einige Fotos als Beweisstücke. Wieder an Bord, genießen wir eine Mahlzeit und borgen uns die Pumpe der Nachbarn, um unser Dinghy aufzublasen. Unsere Pumpe haben wir in Harlingen gelassen… so viel zum Thema sorgfältige Vorbereitung!

21. Juni 2016, Isafjordur – Reykjavik, 180 Meilen, klarer, blauer Himmel

Am Tag darauf lassen wir unser Dinghy zu Wasser und kreuzen langsam den Fjord, so dass wir einige schöne Fotos der North Line mit den Schneebergen dahinter machen können. Wir bemerken, dass der Wind auffrischt und sehen plötzlich zwei Wale, von denen einer Wasser wie ein Torpedo ausbläst. nicht nur einmal, sondern mindestens fünfzig Male: unerschöpflich und schlichtweg kolossal! Die Flossen schlagen auf das Wasser, die mächtigen Körper drehen sich um die eigene Achse... ­Ein einzigartiges Spektakel, das noch von den zahlreichen Delphinen um unser Boot abgerundet wird. An diese Momente werden wir ein Leben lang zurückdenken. 

 

Mit leichten 8,5 Knoten verlassen wir den Hafen. Die See wirkt nun aufgewühlter, und einige Brecher überrollen die Jacht. Wir werden bis zu drei Metern in die Luft gehoben, um dann bei 11 Knoten wieder in die Wellentäler einzutauchen. Aber das Wetter spielt zu unseren Gunsten. Als wir aufbrachen, lag südlich von Island ein großes Hochdruckgebiet, und andere Segler berichteten, dass es deshalb mindestens ein paar Grad kühler sein kann. Wir tauchen in eine ruhige Nacht ein, Wind und Wellen haben sich beruhigt. Wenn man überhaupt von Nacht sprechen kann: Noch immer sind wir auf Höhe des Polarkreises, so dass wir die Sonne nicht untergehen sehen. Vor dem Boot kreuzen Orcas in beeindruckender Geschwindigkeit. Der Himmel ist so klar, dass wir das Kap von Snaefellsjökul in 50 Meilen Entfernung ausmachen können, welches 803 Meter in die See hineinragt.

Der Polarkreis ist der Breitenkreis auf 66 ˚30 nördlicher Breite. Im Gegensatz zum südlichen Polarkreis erstreckt er sich größtenteils auf dem Festland. In Europa kreuzt er die nördliche Spitze Islands sowie Norwegen, Schweden, Finnland, um dann über Kola und Sibirien auf dem russischen Festland zu verlaufen. Auf dem nordamerikanischen Kontinent überquert er Alaska (USA), Kanada und Grönland. Prinzipiell gibt es im Gebiet über den Polarkreisen um den 21. Juni herum zahlreiche Nächte, an denen die Sonne nicht untergeht, ein Phänomen, das als Mitternachtssonne bekannt ist. Je weiter nördlich man kommt, desto länger die Mitternachtssonne (Quelle: Wikipedia.

Wir schlafen hervorragend, auch ohne Dunkelheit, was bedeutet, das unser Biorhythmus ifunktioniert. Ich stehe um 3:30 Uhr auf, und Cees legt sich in die Koje. Nebel zieht auf. Wir müssen unsere Augen unbedingt offen halten, auch wenn das AIS meldet, dass alles „sicher“ ist.  Ein Fischerboot, das vom Kurs abgewichen ist, kreuzt die Jacht.  Immer neue AIS-Meldungen treffen ein, bis jetzt sind es sieben auf dem Chart-Plotter. Jill, ein North-Line-Eigentümer, sendet eine Nachricht, dass wir vor Fischerbooten auf der Hut sein sollten. Big Brother is watching you: Das Überwachungssystem des Schiffsverkehrs hat uns immer im Blick.

Im Nebel zu fahren verlangt uns viel ab. In einer halben Meile voraus kreuzt ein Fischerboot, aber wir sehen nichts von ihm. Ich ändere den Kurs, um einem zweiten Boot auszuweichen, sehe aber nur vage Umrisse im Nebel. Die anderen Schiffe stellen uns vor keine Probleme. Gegen 11.00 Uhr fahren wir in Reykjavik ein. Der Nebel schwindet, die Sonne scheint. Wir machen an einem Liegeplatz im Brokey Yachtclub vor dem prächtigen Harpa-Gebäude fest  und feiern unsere Ankunft mit einer Flasche Champagner. Teil eins unserer Mission ist vollbracht!

23. Juni 2016, Reykjavik, Nebel

Heute beschließen wir, das Boot sauber zu machen. Morgen fliegen wir für drei Wochen nach Hause, und ich fühle mich etwas unwohl, die Jacht über so lange Zeit unbemannt im Hafen zu lassen.

Beim Saubermachen denke ich an unsere erste Zeit an Bord zurück. In zwei Wochen haben wir 1522 Meilen zurückgelegt, sind viel Fahrrad gefahren und haben viel Schönes gesehen. Mein ‚Rucksack‘ ist voller Erinnerungen und mein Kopf voll von den Eindrücken der Reise.  Niemand kann sie mir mehr nehmen.

Wir stellen den Wecker auf zwei Uhr morgens und sind um 3:00 Uhr am Flughafen. Es geht zurück nach Hause, aber meine Gedanken sind immer noch hier.

15. Juli 2016, Amsterdam – Reykjavik, sonnig

Als die Lautsprecherdurchsage in Schiphol “Letzter Aufruf für Hr. Van Sluis” ertönt, eile ich zum Flugsteig. Es ist Urlaubszeit, und die Schlangen an der Passkontrolle sind sehr lang. Glücklicherweise erwische den Flieger noch rechtzeitig. Wir heben ab Richtung Reykjavik, und die Niederlande verschwinden im Dunst; Zeit, die Dauntless nach Hause zu bringen.

Nach unserer Ankunft in Reykjavik treffen wir zwei weitere North-Line-Eigentümer, die in den letzten Tagen auf unsere Jacht aufgepasst haben. Wir fahren zusammen zum Hafen und finden die Jacht heil, nur etwas verschmutzt auf. Obwohl der Vulkan Hekla aktiv ist, hat sich nur wenig Vulkanasche auf Deck verirrt. Wir machen es uns gemütlich, trinken eine Tasse Kaffee und begeben uns ins Stadtzentrum, um im Hafenrestaurant zu speisen. Nach einer Mahlzeit und einem Spaziergang beschließen wir den Abend in einem English Pub. Anscheinend ist das Glück an diesem Abend auf unserer Seite, denn wir gewinnen acht Gläser unserer Wahl beim Glücksrad. Die Livemusik gefällt, aber uns zieht es zurück in unsere Kojen. Morgen heißt es, früh aufzustehen und eine Karte von Grönland zu finden. Das hört sich einfach an, ist aber mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Das freundliche Mädchen im Laden versucht uns mit einem Poster von Grönland weiterzuhelfen. Wir beschließen, zunächst Vorräte einzukaufen. Als alles im Auto verstaut ist, fahren wir ein wenig herum und fragen nach einer Seekarte. Ehe wir uns versehen, ist der Tag herum und wir müssen uns zur Abfahrt rüsten. Der Ausflug zum Gletscher fällt aus, die geplante Reiseroute hat Vorrang. Vier Männer im alten englischen Lotsenboot berichten mir von heftigen Winden auf dem Meer in den vergangenen zwei Tagen. Sie empfehlen mir eine Route: Lieber Richtung Norden, dann nach Scorebysund setzen. Der Fjord dort ist ruhiger und leichter zu befahren. Allerdings sollten wir uns auf Eis gefasst machen, so dass ich ein Auge auf die Eiskarten haben sollte. Freundlicherweise dürfen wir ihre Karten kopieren.

18. Juli 2016, Reykjavik – Scorebysund (Grönland), 452 Meilen, mild und sonnig, wenig Wind

Nachdem der Hafenmeister uns einen weiteren Wetterbericht ausgedruckt und die neueste Eiskarte herunterladen hat, stechen wir um 11:45 Uhr morgens in See. Den Nachmittag verbringen wir in der Plicht mit Kurs auf Snaefellsjokull, einem hohen, dauerhaft schneebeckten Berg.

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Wir sichten ihn schon in 50 Meilen Entfernung, aber seine Umrundung scheint eine Ewigkeit zu dauern. Wir machen 8 Knoten Fahrt und erfreuen uns am Sonnenschein im Cockpit. Um 21.00 Uhr erreichen wir das Kap, an dem uns starker Wellengang erwartet: hohe, steile Wellen schlagen an den Schiffsrumpf. Auf jede siebte Welle folgt ein steiler Abgang...obwohl wir unseren Kurs auf offener See geändert haben, kommt die See erst gegen 3:00 Uhr zur Ruhe. Aber das Wetter hält noch mehr Überraschungen für uns parat: Durch den einsetzenden Nebel können nicht mehr die Hände vor dem Gesicht erkennen! Glücklicherweise kann ich einen Punkt auf dem Radar ausmachen - eine Segeljacht, wie wir später erfahren.

Um 11.30 treffen wir in Isafjordur ein und machen am Tank-Anleger fest. Der Mann an der Pumpe erkennt mich wieder: Anscheinend habe ich eines von diesen Gesichtern mit hohem Wiederkennungswert.... Nach dem Tanken frage ich ihn, ob ich hier ein Gewehr kaufen kann, denn wie soll man sich ohne Waffe den Eisbären in Grönland erwehren? Da wir in einer Woche wiederkommen, will er mir einfach eines seiner eigenen Gewehre borgen. Wir finden aber heraus, dass wir einen Waffenschein benötigen, wenn wir Probleme mit dem Zoll vermeiden wollen. Die zweite Option wäre, ein Gewehr in Grönland gegen eine Flasche Whiskey einzutauschen. Ein sehr nützlicher Ratschlag!

Endlich lichtet sich der Nebel und der Wind wird stärker. Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht die ganze Nacht bei schlechtem Wetter verbringen wollen, können aber nicht schnell fahren, denn schließlich sind es von hier nach Grönland und zurück plus Fjord über 700 Meilen. Mit 16 Knoten würden wir es nicht schaffen, aber mit acht Knoten haben wir eine Reichweite von 2000 Meilen. Wir wechseln uns am Steuer ab. Ich merke, dass mich die Aussicht auf Eisbären, die aus dem Nichts auftauchen könnten, etwas ängstigt.

Glücklicherweise flaut der Wind am Morgen ab, und die See ist wieder spiegelglatt. Yvette weckt mich, da drei Punkte auf dem Radar erschienen sind. Am Ende stellen sie sich als schlafende Wale heraus, die sich beim Näherkommen nicht bewegen. Erst als wir den Kurs ändern und zurücksetzen, um sie besser in Augenschein nehmen zu können, tauchen sie ab. Wie groß sie waren? So groß wie unser Boot? Schwer zu sagen. Der Schwanz schien mindestens 4 Meter breit zu sein. Wir sollten auf unserer Reise noch einigen Walen begegnen, die uns mit ihren Wasserfontänen begrüßten. Nebel ist unser dauernder Begleiter. Er kommt und geht, aber auch die ersten schwimmenden Eisbrocken stellen sich auf dem Radar ein.     

Ich denke daran zurück, wie dieses Abenteuer einst begonnen hat. Vor 25 Jahren las ich eine Geschichte über einen Segeltörn nach Island. Damals war es ein Traum für mich, ein Traum, den ich aber zur Erfüllung bringen wollte. Als ich die Dauntless baute, wusste ich, dass es die Motorjacht war, die mich nach Island bringen würde: Eine spektakuläre Reise auf der ersten Halbgleiter-Motorjacht überhaupt, die in Marschfahrt ohne zusätzlichen Treibstoff von den Niederlanden nach Island fuhr. Ich hatte die Reise mehrere Male auf meinem iPad durchgespielt: Wo kann ich auftanken, welche Häfen besuchen wir? Als ich Cees fragte, ob er mit mir fahren würde, sagte er: “Bis du sicher? Keiner wird kommen und uns retten, wenn was schiefläuft, das weißt du!“ Yvette und JP wollten ebenfalls mit auf den Trip. Anfangs war es ein komplexes Puzzlespiel, am Ende aber hatten alle Teile ihren Platz gefunden.

Ich fahre aus meinen Gedanken hoch: Der erste Eisberg ragt aus dem Nebel! Er ähnelt einem Geisterschiff, seine graue Silhouette zieht vorbei. Nun müssen wir genau aufpassen, Eisberge sind tückisch. Nicht alle von ihnen sind auf dem Radar sichtbar, aber auch die kleinsten können enorme Schäden bewirken. Der auffrischende Wind und ein defekter Windmesser sorgen für zusätzlichen Nervenkitzel... Nach der Umrundung von Kap Brewster fahren wir in den Fjord ein. Der Himmel ist wieder blau, der Nebel lichtet sich und ich verspüre eine große Erleichterung.

Hinter uns sehen wir einen großen schneebedeckten Berg in der Sonne glitzern. Wir sind in Grönland. Fazit dieses Trips: 452 Meilen in 60 Stunden. Wir ankern in Amdrup Havn, einer Bucht an der Siedlung Ittoqqortoormiit. Das Ankern ist schwer, da sich die Ankerkette auf See verdreht hat und der Anker kaum in der dicken Lehmschicht auf steinigem Untergrund verfängt.  Yvette schaut mich mit einem breiten Grinsen an: “Du hast es geschafft! Du hast deine eigene Motorjacht nach Grönland gefahren!” Die erfolgreiche Überfahrt feiern wir mit einem Bier und lassen dabei den Anker nicht aus den Augen. Nachts wechseln wir mit den Nachtwachen ab und prüfen, ob wir die Position gehalten haben. Starke katabatische Winde rollen das Gebirge herunter und wir können das Ziehen der Jacht an der Ankerkette spüren.

21. Juli 2016, Ittoqqortoormiit – Hekla havn, 93 Meilen, blauer Himmel, sonnig

Obwohl ich noch müde bin, schäle ich mich früh aus der Koje. Das Wetter ist annehmbar, wenn auch kühl bei nur sechs Grad Celsius. In der Plicht ist es gemütlich. Der irische Segler neben uns versorgt uns mit einigen nützlichen Tipps, wie zum Beispiel nach einem gewissen Nils zu fragen, wenn wir Diesel benötigen. Und genauso kommt es: Als wir mit dem Dinghy anlanden, suchen wir nach Nils und verabreden uns mit ihm auf den Nachmittag. Jetzt haben wir Gelegenheit, die Siedlung zu erkunden, die von einem herrlichen Naturpark umgeben wird, den die Grönländer aber nicht respektvoll behandeln: Überall sehen wir Dosen und zerbrochenes Glas. Ist es normal hier, Abfall in deinem Garten oder auf der Straße zu entsorgen?

Der Wetterbericht ist günstig für die kommenden Tage, und für das Wochenende werden 12 bis 18 Knoten vorhergesagt. Genau das richtige Wetter! Die Männer in der Wetterstation verraten uns ihre Lieblingsorte.  Für JP scheint es einfacher zu sein, in Akureyri an Bord zu kommen, so dass Yvette seine Reise umbucht. In Richtung Zentrum laufend, stoßen wir auf die Bronzestatue des Siedlungsgründers, der über die See blickt und eine Art Girlande trägt. Im Supermarkt finden wir neben Milch und Eiern überraschenderweise Gewehre zum Verkauf; ein ziemlich originelles Produktsortiment...

Nils hält sich an die Verabredung und kommt in einem großen Bulldozer, den er stolz als den größten der Siedlung bezeichnet. Wir zahlen exakt 498 Liter über ein kabelloses Bezahlgerät, das sich in der Kabine des Fahrzeugs befindet. Das ist moderne Technik!  Nachdem wir ein paar Fotos von den Häusern hinter uns geschossen haben, geht die Reise unter allgemeinem Staunen der faszinierenden Umgebung weiter. Yvette macht noch einige großartige Fotos vom Dinghy. Erst als wir uns diese Fotos später noch einmal ansehen, wird uns bewusst, wie groß ein Eisberg sein kann.

Früh am Morgen und einige hunderte Eisberge später fahren wir in Hekla havn ein, wo Lt. Ryder der Royal Danish Navy 1891 überwinterte. Wir suchen die Küste mit unseren Fernrohren ab und sichten eine Jagdhütte. Nachdem wir in zehn Meter flachem, eisgeschützten Wasser geankert haben, ist es Zeit für den hochverdienten Lieblingsdrink.

22. Juli 2016, Hekla havn – Hekla havn, 28 Meilen, windstill

Mücken, Mücken und nochmal Mücken. Sie machen uns verrückt, so dass wir rasch den Anker lichten und um die Insel Richtung Rensund setzen. Um ca. 14.00 Uhr wird Mittag gegessen. Gegen jeden vernünftigen Rat beschließen wir, einen kurzen Abstecher an Land ohne Gewehr zu machen. Zurück an Bord brechen wir nach Rensund auf und kehren schließlich nach Hekla havn zurück. Wir werfen einen Blick auf die Jagdhütte und finden wieder viel Abfall;­ eine Schande für diesen schönen Kieselstrand. Zurück an Bord sprechen wir die morgige Route durch und gehen dann zu Bett.

23. Juli 2016, Hekla havn – Akureyri, 420 Meilen, windstill

 

 
   



Yvette hat sich gestern ins Wasser gewagt, so dass ich mich heute nicht zieren darf. Das Wasser ist zwar kalt, dennoch ein frischer Tagesbeginn. Es ist Zeit für den Aufbruch, und wir nehmen Kurs auf Scorebysund und hoffen, dort Telefonempfang zu haben – wir sind so abhängig von unseren Handys geworden, und JP wartet auf die Bestätigung seines Flugs nach Akkureyi.

Der Wind frischt bis zu 10 Knoten auf, und die Temperaturen sinken sofort um fünf Grad ab. Ich schalte den Motor aus, als wir Treibeis sichten und kann den anderen ansehen, dass sie keine Ahnung haben, was ich vorhabe. Zu ihrer Überraschung betrete ich eine der Eisschollen Yvette umfährt sie, während ich Fotos mache.

Nachdem wir ein wahres Minenfeld von Eisschollen passiert haben, gelangen wir schließlich in die offenere See mit ein Meter hohen Wellen. Für Stunden später haben sich die Wellen in veritable Berge verwandelt und der Wind hat auf 25 bis 30 Knoten aufgefrischt.  Ich beginne, mich etwas mulmig zu fühlen und lege meine Crewsaver-Rettungsweste an, um auf der sicheren Seite zu sein. Das war das Standardprozedere auf unserer Reise, und wir haben uns in dieser gewichtigen Ausrüstung immer sehr sicher gefühlt.

Aber auch nicht die beste Rettungsweste der Welt kann dich vor Seekrankheit schützen, von der geplagt wir kein Auge zutun können. Am nächsten Morgen sind wir alle schlecht drauf, da wir uns auf hohe Wellen und Nebel gefasst machen müssen. Sicherheitshalber tanken wir auf der Insel Grimsy ­. Wir haben außerdem etwas zu essen an Bord und können eine Stunde pausieren. Nach unserer Ankunft in Akureyri bemerken wir, dass die Einheimischen sich beim Bau des neuen Landungsplatzes deutlich mehr Zeit nehmen als die Bauarbeiter bei uns zu Haus!   JP kommt nach einem 14,5stündigen Flug an Bord.

25. Juli 2016, Akkureyri – Dalvik, 23 Meilen, Tiefdruckgebiet, starker Wind

Während Yvette und JP Akureyri erkunden, bleibe ich an Bord, um E-Mails zu beantworten und den Zoll für die Klarierung zu kontaktieren. Ehe mich versehe, ist es 16:00 Uhr und der Zoll kommt an Bord. Sie fragen nach den alkoholischen Getränken und woher diese stammen. Insgesamt sind die Zollformalitäten in 20 Minuten erledigt, und wir können um 17:00 Uhr nach Dalvik ablegen. Wieder einmal machen wir zwischen zwei Fischerbooten fest. Der Wetterbericht macht nicht viel Hoffnung auf Besserung: Über Island liegt ein Tiefdruckgebiet, das starke Winde mit sich bringt.

26. Juli 2016, Dalvik – Seydisfjordur, 183 Meilen, windstill bis stürmisch

Der neue Tag dämmert heran und das Wetter scheint ganz anders zu sein: Kaum Wind bis zum späten Nachmittag mit 20 Knoten aus Nord, der sich später zu stürmischem Wetter ausweiten sollte. Ich beschließe, Seydisfjordur in einer Etappe anzufahren, damit wir unser Ziel sicher erreichen und Cees an Bord begrüßen können, bevor Yvette und JP ihren Flug am Sonntag antreten. Die ersten 100 der insgesamt 190 Meilen sind die ungemütlichsten. Später haben wir Rückenwind, so dass wir uns leichter an Bord bewegen und endlich auch die Toilette benutzen können. In Seydisfjordur machen wir am selben Landungssteg wie vor einigen Wochen fest. Die Jacht zieht an den Leinen und der Wind heult.


27. Juli 2016, Seydisfjordur

Wir holen unser Angelzeug heraus und hoffen auf guten Fang. Tatsächlich beißen schon wenig später eine Flunder und ein kleiner Seewolf an, aber das war‘s schon mit dem Anglerglück. Für ein Abendessen reicht es nicht. So haben wir Zeit für andere Aktivitäten: Wir machen die Fahrräder und die Jacht sauber und fetten die Fahrradketten. Ich unternehme einen kurzen Ausflug mit dem Rad. Draußen hat es kühle sechs Grad, so dass der Kaffee nach meiner Rückkehr besonders willkommen ist. Wir erfahren, dass einer von Yvettes Kollegen sich nur 25 Kilometer von uns entfernt befindet. Eine halbe Stunde später trifft die Familie an Bord ein, und wir tauschen Geschichten und Erfahrungen aus.


28. Juli 2016, Seydisfjordur, starker Wind

Heute ist Faultag, und wir sind froh, dass wir beschlossen haben, in einem Zug hierher durchzufahren und so auszuschlafen, verschiedene Arbeiten zu erledigen, mit dem Fahrrad zu fahren, zu kochen und am Ende zu merken, dass der Tag schon herum ist.


Freitag, 29. Juli 2016, Seydisfjordur

Ein guter Tag zum Angeln. Nach einer Fahrt durch den Fjord mit dem Paravan am Heck lassen wir auch die Angeln zu Wasser. Aber wir haben kein Glück...die Fische beißen nicht an.


Zurück an Bord tanken wir ein wenig Diesel für die Rückfahrt. Der Hafenmeister erscheint fünf Minuten später in einem eleganten Anzug. Er entschuldigt sich für die Verspätung, da er gerade von einer Beerdigung komme. Nachdem ich aufgetankt und im Ort bezahlt habe, geleitet mich der Hafenmeister zum Boot zurück. 


Samstag, 30. Juli 2016, Seydisfjordur

Wir fahren per Anhalter nach Egilstadur, um ein Auto zu mieten, mit dem wir die Insel erkunden und Cees abends am Flughafen abholen können. Der Fahrer fragt mich gleich, ob ich der vom ‘blauen Motorboot’ sei.  Er interessiert sich für unsere Reise und fährt uns direkt zur Mietwagenzentrale. Was für ein Service! Jetzt, wo wir das Auto haben, beschließen wir, nach Hofn mit seinen Papageitauchern zu fahren.

 

Aber wir sind nicht allein: Die örtliche Kneipe platzt aus allen Nähten vor Papageitaucher-Touristen. Sie tragen teures Outdoor-Equipment und Wanderschuhe, und wir fühlen uns in unseren Jeans, Wintermänteln und Bootsschuhen etwas deplatziert. Aber den Papageitauchern ist es Gott sei Dank herzlich egal, wie sich die Leute kleiden. Nachdem wir ein paar Fotos geschossen haben, fahren wir über eine wunderschöne Route entlang eines Sees und durch einen Wald zu einem großen Wasserfall. Vom Wasserfall aus wandern wir 2,5km, kehren dann zum Auto zurück, um Cees vom Flughafen abzuholen.


31. Juli 2016, Seydisfjordur – Midagur Färöer-Inseln, 285 Meilen, windig

Wir bereiten das Boot auf die Fahrt vor und prüfen vor Abfahrt das Wetter. Wir wissen, dass wir mit Wind rechnen müssen, beschließen aber, trotzdem abzureisen, da sich das Wetter in den kommenden Tagen noch weiter verschlechtern könnte. Nach der Ausfahrt aus dem Fjord schlägt uns der Wind mit Stärke 4 aus Nord und hohem Wellengang entgegen. Allerdings sind die Wellenabstände lang, so dass wir gut Fahrt machen. Am Abend wird der Wind stärker und die Wellen erreichen einige Male über 5 Meter Höhe.  100 Meilen vor den Färöern ändern wir Kurs zum westlichsten Eiland. Wir sind froh, am Nachmittag in Midagur anzukommen: Die letzten paar Stunden waren nicht gerade ein Vergnügen. Ein Teller mit gebratenem Reis wirkt Wunder, und kurze Zeit später liegen wir bereits in den Federn.


1. August 2016, Midagur – Kirkwall, 241 Meilen, Tiefdruckgebiet

Nachdem wir Midagur verlassen haben, gehen wir in Torshavn shoppen, und ich versuche, mir beim örtlichen Friseur die Haare schneiden zu lassen, aber der ist leider ausgebucht. Zurück an Bord müssen wir eine schwierige Entscheidung treffen: Der ursprüngliche Plan sah vor, 30 Meilen zum südlichsten Eiland zu fahren und von dort zu den Shetland-Inseln zu setzen. Allerdings müssten wir so ein Tiefdruckgebiet mit Winden von Osten im nördlichen Gebiet und westlichen Winden über den Orkney-Inseln durchqueren. Wir entscheiden uns für Kirkwall. Mit einem Teller Pasta im Bauch machen wir uns auf den Weg. Cees und ich sprechen uns Mut zu, mit acht Knoten tuckern wir dahin.  Wieder schlafen wir in Schichten. Am Ende der Nacht müssen wir die Geschwindigkeit erhöhen, damit wir die Inseln auch bei optimaler Tide erreichen. Am frühen Morgen sehen wir Land und fahren in einer guten Strömung in Westray ein. Es ist 7:30 Uhr, Zeit für Eier und Bacon, das echte Seemannsfrühstück! Wir holen die Fahrräder heraus, um den Ort und seine malerische Kirche zu besichtigen

 

3. August 2016, Kirkwall – Peterhead, 105 Meilen, schwacher Wind

Nach Abfahrt schalten wir den Motor fast unverzüglich aus und lassen die Angeln zu Wasser. Vielleicht haben wir diesmal Glück, unser Essen selbst zu fangen. Nur fünf Minuten später spürt Cees ein Ziehen an der Leine; Erst eine Makrele, dann ein Leng.

 

 
   
 

 

 

Lenge können bis zu drei Metern groß werden, aber unser ist sehr viel kleiner, aber wir sind trotzdem sehr zufrieden. Um 21:30 Uhr starten wir den Motor und machen uns auf nach Peterhead bei wenig Wind und niedrigen Wellen. Wir lassen es gemütlich angehen und wechseln uns mit dem Schlafen ab. Da die Nächte wieder dunkler werden, kommt unser Biorhythmus allmählich wieder in die Gänge. Der leichte Gang der Jacht bringt mich sanft in den Schlaf. Um 8:00 Uhr erreichen wir Peterhead und machen uns an die Reparatur des Waschmaschinenschlauchs und der Sicherung. Die Maschine bekommt kein Wasser und die Sicherung ist nass. Mit unseren Fahrrädern machen wir uns auf, neue Teile kaufen, verfahren uns allerdings! Schließlich müssen einen Schlauch ohne Sicherung verwenden, aber immerhin können wir unsere Sachen waschen.  Das Wetter ist weniger positiv: Beim Einkaufen beginnt es zu nieseln. Dazu reißen die Träger unserer Einkaufstüten, und wir müssen alles auf den Händen zum Boot tragen. 


4. August 2016 Peterhead – Thyboron, 337 Meilen, windstill und sonnig

Los geht es um 11:00 Uhr bei mildem und sonnigem Wetter. Wir machen gute Fahrt bei 17 Knoten und machen abwechselnd Mittagsschlaf. Vielleicht wären nicht so entspannt gewesen, wenn wir gewusst hätten, was das Wetter später für uns im Schilde führte: Der Wind sollte in der Nacht auffrischen, so dass wir buchstäblich nach Thyboron hineinrollten. Unser deutscher Nachbar im Hafen ist beeindruckt, als wir ihm von unseren Fahrten erzählen. Wir helfen, sein Boot loszumachen und wünschen uns eine ‚Gute Fahrt‘.  Das Hafenfest in Thyboron ist in vollem Gange. An Ständen mit Nippes vorbei, nehmen wir uns Zeit für einen Spaziergang, essen leckere Fish & Chips und nehmen einige Fischerboote in Augenschein.  Eines von ihnen macht am Abend los, und wir schauen ihm hinterher, als es sich in die hohen Wellen aufmacht.


6. August 2016, Thyboron – Grenaa, 136 Meilen, regnerisch

Da wir auftanken müssen, fahren wir durch den Limfjord nach Aalborg. Leider muss man dort eine spezielle Karte haben, um aufzutanken. Starker Regen fällt, und wir haben das Radar eingeschaltet. Der Brückenwärter ruft, dass wir unter der ersten Brücke hindurchfahren können. Es stimmt, und wir setzen unsere Fahrt fort. Cees bereitet eine weitere leckere Mahlzeit zu. Nach Sonnenuntergang fahren wir von Aalborg Richtung Ostsee. Die See ist aufgewühlt und wir sind bald ein Spielball der Wellen. Nach Ankunft in Grenaa genehmigen wir uns ein Bier und gehen früh schlafen. Am nächsten Tag sind wir früh auf, da der Wind später am Tag auffrischen soll.


7. August 2016, Grenaa – Aerosund, 93 Meilen, starker Wind

Der Wind macht die Abfahrt schwierig. Wir müssen hohe Wellen meistern, und gehen auf 10 Knoten zurück. So macht das Seemannsleben keinen Spaß, so dass wir beschließen, im Hafen von Aero festzumachen und im ‚Fiskerhus‘ zu speisen, das außen einladend anmutet, innen aber etwas steril ist. Wir fühlen uns an eine Fußballkneipe an einem Sonntag Nachmittag erinnert. Das Essen ist fade, kommt aber schnell. Unseren Kaffee trinken wir lieber im benachbarten Hotel, wo ich neidisch auf die Leute blicke, die sich prächtig aussehende Fischgerichte munden lassen. Ein Glas Whiskey tröstet mich darüber hinweg.


8. August 2016, Aerosund – Cuxhaven, 130 Meilen, wenig Sonne

Beim Losmachen herrscht geringe Windstärke und die Sonne versucht, hinter den Wolken hervorzukommen. Nach vier Stunden sind wir in Kiel. Wir haben Glück: Die Schleusen sind offen und wir können geradewegs durchfahren. Ein Nachbar sagt uns, dass wir nicht mehr zahlen müssen: Scheinbar müssen dafür einige Stufen bewältigt werden, und letztes Jahr stürzte jemanden auf diesen, so dass sie als zu gefährlich eingestuft wurden.

Nach Durchfahren der Schleusen benötigen wir acht Stunden nach Brunsbüttel. Auch hier ist das Glück auf unserer Seite: Die Schleusen sind offen und wir können unsere Fahrt fortsetzen. Da der Wind schweigt, überlegen wir ernsthaft, nach Helgoland zu setzen. In einer Meile Entfernung von Cuxhaven frischt der Wind aber wieder auf, und die See wird stürmisch. Wir beschließen, umzukehren. Für heute haben wir genug Fahrt gemacht. Zwei Holländer erfahren von unserer Reise, und die Bewunderung und Überraschung ist ihnen anzusehen. Ich schätze, es ist ziemlich ‚cool‘ sagen zu können, dass man gerade von einem Trip nach Grönland und Island zurückkehrt.


9. August 2016, Cuxhaven – Borkum, 100 Meilen, starker Wind, hohe Wellen

Die See wird immer aufgewühlter und wir werden zur Beute der hohen Wellen: Das macht keinen Spaß. Einen Moment lang überlegen wir, ob wir die Weser ansteuern sollten (der größte Strom Deutschlands mit ausschließlich inländischem Einzugsgebiet), verwerfen die Idee aber wieder. Oberhalb von Norderney habe ich Angst, weiter hinauszufahren, da Wind und Wellen noch stärker geworden sind. Wir beschließen, Richtung Borkum zu setzen. Oberhalb der Insel sehen wir ein Fischerboot beim Verlassen des Riffgats, was uns Mut macht, weiterzufahren. Auf der Karte sind es sechs Meter Höhe, wenn das Fischerboot es also schafft... Es fühlt sich an, als würden wir surfen. Ich steuere per Hand, da ich befürchte, dass der Autopilot nicht durchhält. In kaltem Schweiß gebadet, fliegen wir durch die Lüfte und erreichen bald tiefere Gewässer. Erleichtert machen wir am Kai fest und verwöhnen uns mit einem reichhaltigen Mahl in einem guten Restaurant: Flunder mit Sorbet als Nachtisch. Das letzte Mahl: Heute werden wir zu Hause speisen.


10. August 2016, Borkum – Harlingen, 114 Meilen, nachlassender Wind

Der Wind hat etwas nachgelassen und kommt nun von Südwest. Durch das Hubertgat fahren wir unterhalb der Inseln auf der Zehn-Meter-Linie. Um 11:00 Uhr erreichen wir pünktlich zum Flutwechsel Stortemelk. Wir schweben mit beträchtlichem Wellengang hinein, nehmen eine Abkürzung bei der Sandbank Richel und passieren durch die Vlieree mit 20 Knoten. Ich schwelge in Erinnerungen an die Reise, die ihrem Ende entgegen geht. Ich habe meinen Traum, meinen Wunsch erfüllt. Es beginnt zu nieseln. Fast zu Hause.

Wir waren sechs Wochen auf See, bewältigten 4300 Seemeilen und hatten den Motor 390 Stunden in Betrieb. Die Jacht hat sich mehr als nur bewährt und zeigte sich unter allen Bedingungen sehr souverän.  In diesem Sinne ist die Dauntless ihrem Namen gerecht geworden:  Unbezähmbar, furchtlos, wagemutig.


Nach dieser Reise kann ich nur konstatieren: Träume können wahr werden.
Sipko van Sluis, eigner North-Line Yachts

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